Warnsirenen wurden abgebaut, Luftschutzbunker zugeschüttet. Doch die Katastrophen nehmen wieder zu – und man fragt sich: Sind wir gut geschützt? Von DanielBoeldt
Auf dem Dach der Bäckerei in Schönkirchen befindet sich eine von wenigen Warnsirenen Foto: Andreas Oetker-KastDaniel Böldt 11.4.2022, 12:46 Uhr
Dass die Sirene hier, auf dem Dach der Bäckerin Rosemarie Blöcker, gleich gegenüber der Gemeindekirche, überhaupt noch existiert, ist nicht selbstverständlich. Anfang der Neunzigerjahre umfasste das Sirenennetz in Deutschland noch rund 80.000 Standorte. Im Jahr 2018 konnten laut dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe gerade noch 15.000 Sirenen ein Bevölkerungswarnsignal senden.
Die Frage, wie gut die Menschen in Deutschland vor Großgefahren geschützt sind, wird von Jahr zu Jahr lauter gestellt. Denn dass es „dicke“ kommt, wie Radisch sagen würde, wird wahrscheinlicher. Klimakrise, Pandemie und nun auch noch Kriegsgefahr und Kriegsfolgen.
Dazu kommt, dass eine singuläre Katastrophe sehr viele verschiedene katastrophale Folgen nach sich ziehen kann. Nach dem Ahrtal-Hochwasser 2021 kam es zu flächendeckenden Stromausfällen, die Trinkwasserversorgung war unterbrochen, viele Patient:innen kamen nicht an ihre Medikamente. Heizöl und Benzin lief vielerorts aus. Es drohte die nächste Umweltkatastrophe.
Die Unterscheidung zwischen Katastrophen- und Zivilschutz ist historisch gewachsen, laut zahlreicher Expert:innen jedoch nicht mehr zeitgemäß. Operativ greifen Katastrophen- und Zivilschutzeinheiten ohnehin längst ineinander. Der Bund packt mit der Bundeswehr und dem Technischen Hilfswerk bei Naturkatastrophen mit an. Katastrophenschutzeinheiten wie das Deutsche Rote Kreuz würden auch im Kriegsfall tätig werden.
An einem Mittwoch Mitte März sitzt Martin Voss in seinem Büro am Institut für Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin. Voss leitet die Katastrophenforschungsstelle an der Universität und ist pessimistisch, was den Zustand des hiesigen Bevölkerungsschutzes angeht. „Es gibt ein formelles Arrangement, aber die Praxis ist davon weitgehend entkoppelt. Die damit verbundenen Probleme müssen die vielen Akteure mit all ihrem Engagement ausgleichen.
Nun will Voss nicht nur den Mahner geben, sondern hat auch einen Vorschlag erarbeitet, wie es aus seiner Sicht besser funktionieren könnte. Er hat dafür ein Konzept erarbeitet, das sich „Kompetenzhubs Resilienz und Schutz der Bevölkerung“ nennt. Dieses sieht im Kern die Einführung jener Generalisten vor, die laut Voss so dringend fehlen.
Es gibt jedoch Orte, wo durchaus schon im Sinne von Voss gedacht wird: Gerd Radisch, der Bürgermeister von Schönkirchen, steht zum Zeitpunkt des Sirenengeheuls mit einem Tablet in der Hand in einer der zwei Turnhallen der Gemeinde, einem Klinkerbau, der an die Schule anschließt. Inmitten eines Parcours mit Hindernissen aus Matten, Sprungkästen und Bänken sagt er: „Das hier soll mal unser Katastrophenschutzzentrum werden.
Der Kiebitzbek ist wenig mehr als ein Rinnsal. Radisch schlägt die Schutzklappe seines Tablets zurück, um ein Video zu zeigen. Darauf sieht man den Kiebitzbek, wie er mit großer Geschwindigkeit am Fußballplatz vorbeirauscht. Der Pegel knapp unter der Grasnarbe. Das sei vor einem Jahr gewesen. Und es wäre schlimmer gekommen, wenn die Gemeinde nicht vorgesorgt hätte, sagt Radisch.
Dass Radisch nun auch die Turnhalle aufrüsten will, geht auf einen Vortrag der Feuerwehr Neumünster aus dem Jahr 2020 zurück.
Die verschiedenen Übungen, in denen ein Pandemieausbruch und seine Folgen durchgespielt wurden, sind mittlerweile oft zitiert worden. 2007 fand unter Federführung des BBK eine sogenannte LÜKEX statt, eine „Länder- und Ressortübergreifende Krisenmanagementübung “. Übungsthema: Ausbruch einer Grippepandemie. Im Anschluss stellte man unter anderem „Optimierungsbedarf“ beim „Meldewesen, Ressourcenmanagement und Informationsmanagement“ fest.
Vor allem haben Politik und Blaulicht-Einheiten auch viel aus vergangenen Katastrophen gelernt. Eine Sturmflut, wie Gerd Radisch sie 1962 in Hamburg miterlebte, würde heute sehr wahrscheinlich keine 315 Todesopfer mehr fordern. Deiche wurden verbessert, Wettervorhersagen und -prognosen sind präziser und die Kommunikation ist schneller und umfassender. Auch ein Katastrophenschutzgesetz kannte Hamburg 1962 noch nicht.
Die gefühlte Sicherheit ging so weit, dass der Vorgänger des BBK, das ehemalige Bundesamt für Zivilschutz, Anfang der Nullerjahre weggespart wurde und das Thema Zivilschutz fortan von einer Unterabteilung des Bundesverwaltungsamts bearbeitet wurde. Dann kam der 11. September und hat zumindest für ein graduelles Umdenken gesorgt, in dessen Folge entstand 2004 das heutige Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.
Doch in relativer Sicherheit haben es Appelle an die individuelle Vorsorge schwer. Als der damalige Innenminister Thomas de Maizière 2016 die „Konzeption Zivile Verteidigung“ vorstellte, ging es vor allem darum, den Zivil- und Katastrophenschutz enger zu verzahnen und Doppelstrukturen aufzulösen.
Er führte viele Gespräche mit Betroffenen, deren Ergebnisse er so zusammenfasst: „Die ganze Erfahrung und Institutionen haben etwas anderes suggeriert. Es gab ein gutes Deichsystem, das bisher erfolgreich kleinere Hochwasser zurückhalten hat, auch größere Hochwasser von 1954 und 1974 wurden gut überstanden. Auch darum wurden die angekündigten Pegelstände für unplausibel gehalten.
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